Abhängigkeiten

„Ich finde es nicht gut, dass Du das Kleine Wunder morgens allein lässt, während sie noch schläft.“ sagte ich und entfesselte damit einen Streit.

Wir waren auf dem Weg zu meinem Avurveda-Therapeuten, XY begleitet mich netterweise dahin, da ich aufgrund meiner Agoraphobie den Weg (noch) nicht alleine bewältigen kann. Er erzählte, dass er Morgens beim Bäcker und Joggen war, während das Kleine Wunder noch schlief. In mir brach ein kleiner Sturm los, aber ich sagte: nichts. Denn ich befand mich gerade in einer Abhängigkeitssituation zu XY und weiß, dass er keinerlei Kritik vertragen kann. Es sind diese Situationen, die mich die Agoraphobie wirklich hassen lassen.

Das Kleine Wunder ist 5 Jahre alt, es kann also noch nicht lesen und es würde auch nichts nützen, wenn XY ihr einen Zettel hinlegen würde. Das heißt: Würde sie in der viertel Stunde (?) seiner Abwesenheit aufwachen, wäre sie allein zu Hause und wüsste nicht, wo XY sein könnte. Mir gefällt dieser Gedanke ganz und gar nicht!

Als wir nach meiner Behandlung draußen auf die Bahn warteten, beide entspannt und einander zugewandt, sagte ich den Satz. XY’s Reaktion war wie befürchtet. Er wurde sofort wütend und entsprechend unsachlich. Laut und immer lauter: Ich könne ja wohl auch mal seiner Intuition vertrauen, sie würde um diese Zeit niemals aufwachen, ich solle aufhören ihn zu maßregeln und von oben herab behandeln. In Zukunft würde er mir halt gar nichts mehr erzählen. Er sei ja nur kurz beim Bäcker gewesen (morgens sagte er noch, er sei beim Bäcker und Joggen gewesen) und überhaupt solle ich ihn in Ruhe lassen, er habe Wichtigeres zu tun und zu organisieren. Sein kaputtes Auto würde mich ja sowieso nicht interessieren. Mittlerweile hatte er sein Handy in der Hand und tippte darauf rum, um zu beweisen, dass er gerade dringend etwas organisieren muss.

Ich kenne ja seine Verhaltensmuster, trotzdem bin ich jedes Mal wieder auf neue baff. Ich blieb aber freundlich und sagte ruhig, dass, als ich das Gespräch anfing, ich nicht den Eindruck gehabt hatte, dass er gerade etwas organisieren wolle. Und dass ich nicht vorhatte ihn zu maßregeln, sondern nur gesagt habe: Das mir das nicht gefällt.

Ich wandte ein, dass sie die letzten beiden Nächte bei mir um 7 Uhr aufgewacht ist. „Bei mir wacht sie nie so früh auf, darauf kann ich mich verlassen!“ Schweigen. Und dann wurde ich angebrüllt. Er sei so scheiß wütend auf mich, sowas. Ich würde ihn wie ein Kind behandeln. Das lasse er nicht zu. Ich sagte ihm (mittlerweile war mein Ton wahrscheinlich schneidend), dass ich ihn nicht wie ein Kind behandeln möchte, sondern eigentlich ein Gespräch unter Erwachsenen führen wollte. Ein ganz normales Gespräch über die Erziehung unseres gemeinsame Kindes. Aber er verhalte sich gerade so wie ein Kind. (Das war wahrscheinlich auch nicht gerade klug das zu sagen, aber innerlich hab ich echt den Kopf geschüttelt)

Als wir in die Bahn einstiegen, kam noch der laute Vorwurf, es sei asozial, dass ich das erst nach über einer Stunde geäußert habe. Inzwischen liefen mir die Tränen über die Wangen. Mitten in der vollen Bahn. Dieses Gefühl im eigenen Leben gefangen zu sein. Die Wut auf mich selbst, dass ich nicht einfach alleine in die Bahn steigen und zu meinen Terminen fahren kann. Die Hilflosigkeit darüber, immer wieder so ein mieses Gefühl zu haben, wenn das Kleine Wunder in XY’s Obhut ist. Die Enttäuschung, dass wir wieder und wieder an diesem Punkt landen.

Wir saßen ein paar Sitze auseinander und als wie nach 20 Minuten Fahrt angekommen waren, sagten wir nur eisig Tschüss. Er hat sich später via Whatsapp für seine Unsachlichkeit entschuldigt. Ich weiß nicht, wieviele solcher Entschuldigungen ich schon von ihm erhalten habe. Angebrüllt und beschimpft werde ich immer wieder. Es ist weniger geworden, seitdem er trocken und in Therapie ist. Aber es bleibt Stress für mich. Und das Gefühl irgendwie dumm zu sein, dass ich das zulasse ist auch nicht schön. Für dieses Gefühl kann XY natürlich nichts. Und ich sehe mich auch nicht (mehr) als Opfer. Ich suche und suche einen Weg heraus aus diesen Verhaltensmustern.

Was wäre der bessere Weg gewesen? Sofort zu reagieren und mein Unbehagen nicht erst wegzudrücken? Sicher gesünder für mich. Dann wären wir halt zerstritten und ich verheult bei dem Behandler angekommen. Stattdessen habe ich eine ganz schön lange Zeit mit mir gerungen, ob und was ich sage, nach der Formulierung gesucht. Denn ich habe kapiert, dass es der einzige gesunde Weg ist, ihm die Sachen zu sagen, die mich stören. Zu oft halte ich zurück, weil ich keinen Stress will, weil ich diese Situationen vermeiden möchte. Weil ich nicht angemacht werden möchte.

Wie kann ich XY gegenüber mein Unbehagen möglichst freundlich und sachlich äußern? Innerlich sah es nämlich anders aus. Da waren und sind Gedanken wie: „Wie kann er nur?“ „Das ist doch eine Form von Vernachlässigung.“ „Verantwortungslos.“  „Oh Gott, und wenn sie aufgewacht wäre? Würde sie in Angst wohlmöglich alleine auf die Straße laufen? „Wie stumpf ist das denn?“ „Sie darf nicht mehr so viel Zeit bei ihm verbringen!

In drei Wochen ist geplant dass das Kleine Wunder zum allerersten Mal ein ganzes Wochenende bei und mit Papa verbringt (jaaa, auch das ist so ein Thema. er hatte dazu nie Ambitionen, nun hat sie ihn selbst drum gebeten, weil sie gerade eine totale Papaphase hat.) – ich hatte mich für beide darüber gefreut. Nun mache ich mir Sorgen. Ich weiß ja, wie wenig Stressrestistent XY ist und wie er auch das Kleine Wunder manchmal schon angebrüllt hat. Und dass er sie immer mal vor den Fernseher setzt um Joggen gehen zu können.

Was bei mir bleibt ist ein Gefühl von Hilflosigkeit.

10 Kommentare zu „Abhängigkeiten

  1. Danke für diese ehrlichen und sehr offenen Worte. Wenn man sich bereits überlegen muss, wann man es wie am besten rüber bringt, wenn einem etwas nicht gefällt ( und in diesem Fall gebe ich dir 100% Recht), dann passts einfach nicht. Man sollte seinem Partner jederzeit alles sagen können. Abgesehen davon ist es unerheblich, wie lange dein Wunder alleine war- jede Minute, ist eine Minute zu viel. Druck Dich – glg

    Gefällt 1 Person

    1. Partnerschaft, ja, damit hat das oft nicht viel zu tun, was wir hier haben. Wir hängen irgendwo dazwischen. Vor 2,5 Jahren ist er ausgezogen (wollte ich so) und seitdem eiern wir mehr oder weniger rum. Ich glaube, ich könnte vieles akzeptieren, aber wenn es um das gemeinsame Kind geht hört’s einfach auf. Nur ob Partner oder nicht: Ich kann nicht wirklich etwas tun. Wir haben beide das Sorgerecht und in der Zeit in der sie bei ihm ist, kann er ja im Grunde machen, was er will – solange es keine groben Vernachlässigungen sind oder es zu Gewalt käme. Und das Kleine Wunder freut sich gerade dolle auf das gemeinsame Wochenende mit Papa!

      Gefällt 1 Person

      1. Ah, ok- würde da aber mal eine klare Grenze ziehen- das mit dem Herumeiern hilft eigentlich keinem der Beteiligten- es wird nur alles nach hinten verschoben, beide haben anscheinend leichte Ängste, vor Veränderung oder um konkret einen Strich zu ziehen. – Grobe Vernachlässigung ist dann natürlich definationsabhängig, solange du dir in der Zwischenzeit keine Sorgen machst, ist es in Ordnung.- Glg

        Gefällt 1 Person

      2. Das sagt sich so leicht. Ist ja nicht so, dass immer alles nur doof ist. Er ist kein einfacher Mensch. Bin ich aber auch nicht. Aber es gibt vieles, was uns auch sehr verbindet. Nur merke ich mehr und mehr, wieviel Energie mir das Thema auch abzieht. Aber es sind zwei Themen, die natürlich auch immer wieder miteinander verquickt sind: Die Sache mit der Partnerschaft(?) und der Umgang mit unserem Kind. Liebe Grüße

        Gefällt 1 Person

  2. Ach meine Liebe, das klingt alles in allem so, als sei es gar nicht leicht. Mich würde die Situation auch sehr belasten. Und auch wenn ich kein Kind habe, zumindest weiß ich, was es mit Kindern macht, wenn sie aufwachen und niemand da ist…
    Wenn es immer so leicht wäre alles richtig machen zu können!

    Gefällt 2 Personen

    1. Ob es hilft, wenn ich ihr sage, dass es sein kann, dass Papa mal nicht da ist, wenn sie morgens aufwacht? Und das er dann nur joggen ist und ganz bald wieder kommt? Oder mache ich ihr damit einfach nur Angst? Ich mein, es ist doch besser, sie weiß dann was los ist! Ich wünschte ich könnte Ihr ein Notfallhandy geben oder sowas, aber dafür ist sie noch viel zu klein.

      Gefällt 3 Personen

      1. Auf jeden Fall hilft das. Am besten wäre es, wenn er es ihr sagt. Aber da muss ja jetzt nicht gleich wieder eine Diskussion her…
        Vielleicht findest du ja Vergleiche – vielleicht gehst du ja auch Mal für 10 Minuten aus der Wohnung und kommst dann wieder.
        Das beruhigt bestimmt. Und ihr könnt ja vereinbaren, dass du morgens anrufst 😊

        Gefällt 1 Person

  3. Hallo! Ich bewundere ebenfalls deine Offenheit und Ehrlichkeit. Was für eine äußerst blöde Situation! Ich fühle mit dir und hoffe, dass ihr gemeinsam eine gute Lösung findet. Alles Liebe

    Gefällt 2 Personen

    1. Danke Dir. Ich möchte das Blog nutzen um neue Wege für mich zu finden – u.a. indem ich mich zeige. Es kostet mich schon Überwindung sowas zu posten, aber es bringt mir viel und die Kommentare, die hier hinterlasst, sind wahnsinnig wertvoll für mich. Vielen Dank für Deine lieben Worte.

      Gefällt 1 Person

Hinterlasse eine Antwort zu Unglaublich leicht Antwort abbrechen