Der hat auch Angst

Manchmal, wenn ich unterwegs bin und mich die Angst befällt, schaue ich mir die Menschen in meiner Umgebung an und überlege, dass einige von Ihnen sicher auch Angst und Panikattacken kennen. Das hilft mir.

Dehalb lese ich gerade das „Ich bin mal eben wieder tot – wie ich lernte mit Angst zu leben“ von Nicholas Müller. Nicholas Müller war bis 2014 Frontman der Band Jupiter Jones. Ich finde es immer wieder ausgesprochen mutig, wenn Menschen ihre Angsterkrankung öffentlich machen. Noch mehr als Depression scheint eine Angstneurose ein Tabuthema. Eine Phobie vor Spinnen oder Mäusen oder die Angst Fahrstuhl zu fahren ist vielleicht gesellschaftsfähig. Aber ich eine „ich gehe nicht aus dem Haus-“Angst wie die Agoraphobie unter der ich leide, oder auch die Sozialphobie scheinen in unserer Gesellschaft mit der Anmutung von Schwäche verknüpft. Ich habe das selbst stark internalisiert – d.h. dieser Glaubenssatz hat sich in mir fest gefressen. Ich schäme mich dafür, dass ich es trotz wiederholter Therapien einfach nicht schaffe, die Angst Angst sein zu lassen und trotzdem so zu leben, wie ich es möchte.

Vor lauter Scham habe ich es über die Jahre gelernt, meine Angst und meine diesbezügliche Erkrankung virtous zu verstecken. Ich lasse die meisten Menschen einfach nicht so nah an mich heran, dass sie etwas bemerken können. Sie bemerken nicht, dass ich nur in einem winzigen Radius im Park jogge und niemals allein im anderen Teil des Parks zu sehen bin. Sie wissen nicht, dass ich zu jeden Termin  außerhalb eines vielleicht 1 Kilometer großen Radius eine vertraute Person zur Begleitung brauche. Sie ahnen nicht, dass es Tage gibt, in denen ich nur mit Herzrasen überhaupt vor die Tür treten kann oder sogar hyperventiliere wenn ich einfach nur allein in meiner schönen, sicheren Wohnung sitze. Selbst eine Panikattacke beim Arzt während der Blutdruckmessung blieb unbemerkt – weil mein Blutdruck trotzdem noch im oberen Normbereich war. Ja, ich habe sogar schon mehrfach mit schwerer Panik auf der Bühne gestanden und nach außen souverän meinen Text vortragen können.

Wieviele Lügen ich schon erzählt habe, wieviel Ausreden, warum ich früher gehe oder gar nicht erst irgendwo erscheine. Ich habe es sogar ohne große Verluste geschafft, dass ich nur ca. 2 x im Jahr Kundengespräche führen muss, die nicht in meinem Büro stattfinden. Wenn es doch anders sein muss, nehme ich mir jemanden mit, der mich hinbringt und irgendwo sehr in der Nähe auf mich wartet. Und kämpfe in der Regel dennoch massiv mit Angst. In zwei Tagen ist es wieder soweit und in meiner Tassche leuchten die zwei Tavor Tabletten, die mir der Arzt in der Mutter-Kind-Kur für den Notfall gab. Aber im Grunde traue ich mich noch nicht einmal dieses Medikament zu nehmen. Weil ich nicht weiß, wie ich darauf reagiere. So bleibt auch dieser Ausweg verschlossen.

Und jetzt lese ich das oben genannte Buch und während des Lesens steigt tatsächlich schon wieder Angst in mir hoch. Weil Nicholas Müller irgendwann total zusammengebrochen ist. Und ich Angst vor genau so einem Zusammenbruch habe. Ich bin doch Mutter! Und der Vater ist gerade wegen Depression und Angst in einer Klinik. (Ja, er ist zusammengebrochen. Und das ist auch irgendwie so typisch in dieser Konstellation. Denn ich funktioniere weiter und bin für unser Kind da. Ist das jetzt eine Stärke oder eine Schwäche?). Dennoch tut das Lesen gut. Weil es jemand geschrieben hat, den man kennt. Den ich kenne, weil er in der Öffentlichkeit stand. Und der das zugibt, dieses Angst. Dieses lächerliche Sich-vor-allem-möglichen-ängstigen, während es einem doch eigentlich viel zu gut geht. Herr Müller ist mittlerweile übrigens Schirmherr der DASH – Deutsche Angst-Selbsthilfe. Er hat es geschafft aus seiner Erkrankung etwas Gutes zu ziehen und hilft mit seinen Erfahrungen nun anderen. Ich wünschte, ich könnte das auch. Und ich wünschte, ich könnte auch sagen: Wie ich lernte mit der Angst zu leben. Doch nach mittlerweile 30 oder vielleicht sogar 36 Jahren Angst und Phobie fehlt mir dafür meist die Vorstellungskraft. Leider.

 

 

 

Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser

… und zwar zuallererst in sich selbst. In die eigene Wahrnehmung und in die eigene (Handlungs-)Kompetenz. Zumindest für mich ist das ein großes Thema.

 

Seminarerfahrungen

Am Samstag war ich dann doch im zweiten Teil meines seit Langem gebuchten Achtsamkeit-Seminars. Es war ein Meditationsworkshop und man könnte meinen, das sei entspannend. Ist es auch. Aber gerade auch dadurch, dass ich durch die Erkältung sehr geschwächt war, habe ich gemerkt, dass dies eben doch auch mühevoll ist und mit viel Disziplin verbunden ist. Während der Sitzmeditationen sehnte ich mich danach zu liegen, der theoretische Teil beinhaltete keinen neuen Input für mich und ich war schon kurz davor zu gehen … um dann zu Hause … zu liegen! Aber ich hielt durch.

Die für mich wirklich softe Yoga-Sequenz bot mir eine besondere Herausforderung: Nämlich zu akzeptieren, dass ich Hier und Jetzt selbst das sehr anstrengend finde und meine körperlichen Grenzen so tief lagen, dass ich dem Drang darzustellen, dass ich Yoga „ja schon gut kann“ wiederstehen musste. Und es doch nicht in Gänze tat. Es. War. So. Anstrengend. Dabei waren das Pipifax-Asanas für mich. Bleibt die Frage offen: Warum muss ich eigentlich mein „Können“ zur Schau stellen? Yoga ist nicht Können, Yoga ist tun. Yoga ist Jetzt. Yoga ist: in den eigenen Grenzen zu bleiben und Yoga ist nicht Ehrgeiz und Zielerreichung.

Und dann gab es noch die Imaginatonsreise zum Thema Vertrauen. In der Nachbesprechung fiel mir dann auch wieder ein, dass das auch schon im Titel des Kurses eingefügt war. Irgendwas mit Achtsamkeit und Vertrauen. Hatte ich (un)bewusst aus einer Vielzahl von angebotenen Achtsamkeits-Seminaren ausgewählt. Und dann wieder vergessen. Na sowas! Und in der Übung und Nachbesprechung wurde mir einiges klar. Nämlcih, dass ich ein riesengroßes Vertrauensproblem habe. Und das nicht erst seit gestern. Wem vertraue ich in meinem momentanem Leben? Die ernüchternde Antwort: Niemandem zu 100%. Es gibt ein paar 60, 70 oder vielleicht auch 80% Kandiat*innen. Am allermeisten vertraue ich meinem Kind.

 

Als-ob-Mädchen

Ich habe in den letzten 10, 15 Jahren viele Erfahrungen machen müssen, die mich als die Betrogene, Belogene zurück ließen. Aber das fußte vor allem darauf, dass ich mir selbst nicht vertraut habe. Denn die vermeintlichen Geheimnisse meiner Gegenüber, denen ich so naiv deren Worte glaubte, entblößten sich doch eigentlich in ihren Handlungen, die ich wahrnahm, deren Schrägheit ich erspürte  – um dann das Gefühl dazu weg zu sperren.

Und weiter zurück? Wem habe ich in meiner Kindheit vertraut? Meinen Eltern nicht. Zumindest nicht so, dass ich mich zeigen konnte. Ich habe immer so getan als ob. Als ob ich fröhlich wäre. Als ob ich mich über ein Geschenk freuen würde. Als ob ich keine Angst hätte. Als ob ich mich wohl fühlen würde. Als ob ich gern zur Schule gehen würde. als ob alles in Ordnung wäre. Ich habe nicht erzählt, dass mich ein Mann im Auto mitnehmen wollte.

Nachdem mein Vater ausgezogen ist, habe ich so getan als ob auch ich – wie meine Mutter – keinen Appetit hätte und im Essen gestochtert. Weil das doch ein deprimierendes Ereignis war und man nicht mehr genießen und lachen durfte. Und dann, als etwas Zeit vergangen war und ich wirklich deprimiert war, dannhabe ich wieder so getan, als wäre alles gut. Meine Noten waren gut. Ich habe alles „richtig“ gemacht. Als ob ich das einfach so wegstecke. Das meine Mutter  mit Selbstmord droht. Das ich keinen Kontakt zu meinem Vater habe. Das mein großer Bruder dicht macht und kein großer Bruder sein kann. Ich habe nicht erzählt, dass der Sportlehrer in die Mädchenduschen kam, dann und wann.

Ich habe ein Vertrauensproblem. Ein sehr großes. Und das macht mich traurig.

 

Geburt

Aber es gab da was … das Gebären. Das war eine erleuchtende Erfahrung der Hingabe für mich. Ich hatte keine Angst. Ich! Ich, die doch immer und vor allem Angst hat! Ich habe immer gesagt: Ach, zur Not würde ich das Kind auch allein zu Hause auf die Welt bringen. Haben schon Millionen Frauen vor mir geschafft. Ich habe mich eingebettet gefühlt in die Menschheitsgeschichte. In eine Geschichte voller gebärender Frauen. In einem immer wiederkehrenden Kreislauf von Geburt und Tod. Ich habe, ja tatsächlich, ich habe vertraut! Die Geburt im Geburtshaus, ich habe Glück gehabt, es hat nur ein paar Stunden gedauert und alles lief so glatt wie es nur laufen kann. Nicht einmal verletzt war ich. Ich war ein Tier, ein Werkzeug des Universums, es ist mir mir geschehen. Ich konnte es geschehen lassen.

Der gleiche Prozess passiert in klein manchmal, wenn ich schreibe. All mein guten Texte sind so entstanden. Sie sind nur durch mich hindurch geflossen, durch mich als Kanal und dann auf das Papier.

 

Immer der Anfang

Und das ist eine Ressource.  Dort finde ich mein Vertrauen, in diesem Erlebnis. Und ganz passend spürte ich in der geführten Meditation zum Thema Vertrauen das Gefühl dazu in meinem Unterleib.

Und das ist das wertvollste, was ich aus diesem Seminar mit nach Hause genommen habe: Die Neugier auf diese Ressource die da in mir schlummert. Die Neugier darauf, was passieren wird, wenn ich lerne zu vertrauen. Denn Neugierde ist immer der Anfang vom Tun.

Ich sehne mich nach Leichtigkeit, – zurück ins Licht

Heute Abend übe ich mich in achtsamer Akzeptanz. Vor vier! Monaten habe ich einen Wochenend-Kurs gebucht, Thema: Achtsamkeit. Heute Abend sollte es losgehen. Und nun? Ich kann da unmöglich hingehen. Ich huste und huste, ich würde stören. Außerdem habe ich eine üble Bindehautentzündung, die ja bekanntlich sehr ansteckend ist. Und ganz ehrlich: ich fühle mich auch so elend, dass ich mich gar nicht mehr vom Sofa weg bewegen mag. Das Kleine Wunder freut sich, bei ihrer Lieblingsfreundin schlafen zu können. Ich habe alles super organisiert: wie und vom wem sie vom Hort abgeholt wird, wo sie sich dann aufhalten kann, bis sie um 19 Uhr zur Freundin kann, wo sie dann bis Morgen Abend bleibt, bis der Kurs zu Ende ist. Das war mit Hindernissen verbunden. Die erste Verabredung wurde nämlich spontan heute krank und so mussten mehrere Leute verschiedene Etappen übernehmen. Aber ich habe es dank sehr hilfsbereiter, liebevoller Familien geschafft. Dafür bin ich dankbar. Das ist so toll!

Und nun übe ich mich darin: Kein schlechtes Gewissen zu haben, so viele Leute eingespannt zu haben und dann zu schwächeln. Denn die Realität ist: Ich bin froh, dass das Wunder nicht hier ist und ich mich ausruhen kann. Froh, dass ich sie auf diese Weise weniger wahrscheinlich mit der Bindehautentzündung anstecke. Sie selbst freut sich wie das erste Schneeglöckchen und wird ein wundervolles Wochenende haben.

Es ist schade ums Geld, aber meine Entscheidung ist vernünftig und gut und schützt zudem einige andere Leute davor sich von mir anzustecken. Warum zur Hölle hadere ich dann trotzdem? Es ist mir in den letzten Jahren so verdammt oft passiert, dass ich Karten für eine Veranstaltung hatte, mich zu einem Kurs angemeldet hatte, langwierig verabredet war … und dann krank geworden bin. Das ärgert mich. das schöne Geld! Und dieses Gefühl, nun verschiedenste Leute eingespannt zu haben, nur damit ich den Kurs machen kann, den ich dann gar nicht mache … plejade! Es darf Dir gut gehen. Du darfst für dich sorgen. Du darfst tun was du möchtest und für dich richtig ist. Wann wirst du das verstehen? Und wo verflixt nochmal, ist denn nun diese Leichtigkeit und dieses Licht, nach denen du dich so sehnst???

Das große Finale als Anfang?

Es ist so viel. Es ist immer so viel. Wann kann das endlich aufhören? Ich will doch nur ein friedliches Leben führen …

XY ist in der Psychatrie, endlich. Er ist weg, er lässt sich helfen. Das ist eine große Entlastung. Und doch fühle ich mich kaum erleichtert. Die Probleme bleiben.

Das Wochenende mit dem Kleinen Wunder war ein mütterlicher Kraft-Akt. Bettnässen, Wutanfälle, Anlehungsbedürftigkeit, Alpträume und unruhiger Schlaf. Weiterhin nicht-in-die Schule-Wollen und auch nicht in den Hort. Mir tut alles weh. Vor allem das Herz. Dazu sind wir beide richtig stark erkältet.

Meine Mutter hilft. Das Wunder ist jetzt bei ihr. Damit ich mich ein bisschen ausruhen kann. Und damit der alte Rhythmus einigermaßen bestehen bleiben kann. Und doch fühle ich mich so allein mit allem. Der zweite Elternteil fehlt. Immer fehlt er. Schon immer. Ich mache mir das Leben schwer, weil ich allen Entscheidungen diesbezüglich eine große Schwere gebe.

Ich möchte das Kleine Wunder beschützen, doch ich kann es nicht. Und ich kann nicht alles wieder gut machen, was ihr Vater vielleicht verbockt hat. Was ich verbockt habe. Ich kann es nicht. Und ich kann ihr auch nicht die Last abnehmen, dass sie eine chronisch kranke Mutter hat. Eine Mutter mit Multiple Sklerose. Eine mit starker Angst-Störung und Depression. Und einen Vater mit Depression. Einen Alkoholiker. Der vielleicht sogar eine Persönlichkeitsstörung hat. Und eine Oma mit Angstproblematik, traumatisiert. Und eine andere Oma, die erst vor drei Jahren einen Suizidversuch unternommen hat. Was sind das für Lasten?

Wie soll ihre Zukunft aussehen? Wie meine? Wie unsere gemeinsame? Nach ein paar Wochen Therapie wird ihr Papa kein neuer Mensch sein.

Alles kommt mir bleischwer vor.

Das Kleine Wunder wundert sich

vermutlich sehr darüber, was mit Papa los ist. Sie war von Sonntag Abend bis einschließlich Mittwoch früh bei ihm und hatte jeden Tag Bauchweh. Heute Morgen wollte sie nicht in die Schule, weil sie „zu müde“ war. Aber sie wollte so ganz und gar nicht. So wenig, dass ich mich an Kindergartenzeiten erinnert habe. Mit Schreien und Hauen und auf den Boden werfen. Auch draußen auf dem Bürgersteig.

Ihren Freund, der an der Ecke auf sie wartete, schickte ich dann alleine los. Irgendwann war ich selbst sehr wütend (Hilflosigkeit äußert sich dann oft so bei mir). Ich hatte weder gefrühstückt, noch geduscht, ich war auch nicht passend für die Witterung gekleidet, denn, dass ich mich so lange oder überhaupt draußen aufhalten würde, war nicht geplant. Und zog sie ärgerlich mit mir um die nächste Straßenecke Richtung Schule. Aber dann machte es auch schon „Plopp“ in mir, ich hielt an und nahm sie erstmal ganz fest in den Arm.

Sie weinte bitterlich. Nein, ich will nicht. Zu müde. Und die anderen Gründe erzähle ich Dir nicht. Wir schafften es dann aber bis zur Schule, bis vor das Klassenzimmer. Wo ich klopfte und die Lehrerin bat kurz raus zu kommen. Die reagierte – verständlicherweise – unwirsch. Es ist nicht erwünscht, dass Eltern mit in die Schule kommen und schon gar nicht ins Klassenzimmer. Es gibt einige Kinder, die häufig zu spät kommen und das stört natürlich sehr. Aber als die Lehrerin so unfreundlich reagierte, kamen auch mir die Tränen. Zu viel.

In der Nacht bin ich von einer scheußlichen Panikattacke aufgeschreckt, mit schlimmer Luftnot und dem Gefühl gar keinen Sauerstoff mehr einzuatmen, extremes Herzrasen – das hing mir noch nach.

Die Lehrerin kam dann aber doch vor die Tür und sprach mit uns und Das Kleine Wunder ging dann ins Klassenzimmer. Und die Lehrerin nahm mich in den Arm. Wir redeten noch kurz und nach der Schule hab ich Das Wunder direkt abgeholt und die ausnahmsweise nicht zum Hort gebracht.

Sie ist durcheinander, reagiert schnell ungehalten, schreit mich an. Jetzt ist eine Freundin hier, das tut ihr sichtlich gut.

Und ich? Habe jetzt festgelegt, dass der Papa sich um sich zu kümmern hat und Das Wunder erst wieder zu sich nehmen kann, wenn er sich besser fühlt. Sie wird ihn vermissen, aber sie braucht ein stabiles Zuhause. Papa ist krank und kann sich gerade nicht richtig um sie kümmern.

Die Lehrerin weiß Bescheid, die Leute im Hort wissen Bescheid.

Ich habe Rückenschmerzen, bin müde, sehr müde und aufgewühlt. Wie die nächsten Wochen aussehen werden, weiß ich nicht. Aber ich werde die Seele meines Wunders schützen und ich werde meine Seele schützen so gut ich nur kann. Morgen vereinbare ich einen Termin mit der Schulsozialarbeiterin. Ich hole mir so viel Unterstützung wie ich kann.

DIE MAGIE EINER AUFSTELLUNG. Oder wie ich erst nichts verleihen wollte, dann gerne geben mochte und zu guter Letzt gar keine Notwendigkeit bestand

Heute wollte XY sich Geld von mir leihen. Eigentlich hatte ich beschlossen, ihm nie wieder etwas zu leihen. Also weder Geld noch sonst irgendwas. Denn allzuoft musste ich den Dingen dann hinterrennen und galt dabei noch als „spießig“ oder „Krämerseele“. Ich beginne gerade erst zu begreifen, dass auch dieser Teil der Geschichte ein Puzzlestück im Leben eines Menschen mit Suchtproblematik ist.

Da das Thema gerade akut war, hab ich es in der Ergotherapie bearbeitet. Wir haben Aufstellungsarbeit gemacht und das war sehr hilfreich. Eine Stunde Ergotherapie und so viele Einblicke. In mir ist ein Gefühl von Zufriedenheit und Stolz.

Die erste Überraschung war für mich, welchen Gegenstand ich mir als Symbol für mich ausgesucht habe: eine brennende Kerze in einem Papierstern. So schön. So eine schöne Vorstellung von mir. Voller Licht und Wärme, in sich ruhend, bewegt und strahlend schön.

Die Fragestellung ob ich ihm das Geld leihen sollte: ja oder nein. Im Grunde erwartete ich eine Bestärkung im Nein-sagen.

Was aber für mich dabei rauskam, war: Ich möchte das Geld gerne leihen, aber nicht als große Gönnerin, die sich dann toll fühlen kann und die diese Entscheidung alleine trifft und die Verantwortung dafür übernimmt. Sondern als Freundin auf Augenhöhe. Zuerst standen dort zwei Symbole auf dem Tisch: ich und das Geld (was dann aber auch gleich zur Symbolfigur von XY wurde – ein kleine Piratenfigur, die mit einem Fuß auf einer Schatzkiste stand), dann gab es Barrieren und es gesellten sich Berater dazu. Außerdem ein Löwe, der als heimlicher Gewinn dieser Situation inter mir stand. Das sah zwischendurch ziemlich unausgewogen aus. Ich riesengroß und hell mit einer Schar Berater (die Barrieren und auch der heimliche Gewinn hatten sich in Berater verwandelt und einen konsprativen Kreis gebildet) um mich. Dem gegenüber XY allein und klein. Da wurde mir klar, was für ein grausames Bild das ist, das ich da mit mir heraum trage.

So bekam XY ein Pferd und wuchs damit, die Figur stand ziemlich wackelig, aber mit viel Geduld stand sie dort auf dem Pferd – wie passend. Er bekam eine Schar Berater an die Seite gestellt und zu guter Letzt noch ein großes strahlendes Glas-Kristall als Ressource.

Meine Lösung: Ja, ich leihe ihm das Geld, möchte aber meinen Monitor und meinen Notenständer zurück haben, die schon ewig bei ihm sind. Und ich möchte mit ihm gemeinsam überlegen, was er mir als Pfand überlassen kann, bis ich das Geld zurück habe.

Der Clou: Er hatte in der Zwischenzeit eine andere, sehr einfache Lösung für das Problem gefunden. Nämlich Ratenzahlung.

Wow!